DER AUFTRAG
EPOCHE 1 - ZYKLUS 2 - MOND 338
Eine Gestalt strauchelte gebückt und sichtbar entkräftet an den Ausläufern des Kupfergebirges entlang in Richtung Norden. Scheinbar ziellos und immer wieder die Richtung wechselnd, hätte man meinen können, dass dieses arme Wesen keine Kenntnis davon hatte, in welch einer Gefahr es schwebte. Doch es wusste ebenso gut, wohin es ging, als auch von der Bedrohung die sich hinter ihr befand. Egal wohin es sich wandte, in allen Richtungen lag nur der Tod. Doch ein Ruf, ein Instinkt trieb es vorwärts in sein Verderben. Auch seinem Verfolger war bewusst, dass sie sich mit erschreckender Geschwindigkeit Grimhorn näherten. Ihm war klar, dass es eine Frage der Zeit war, bis sie auf die ersten Horden trafen. Doch sein Auftrag hieß, es zu verfolgen und zu beobachten. Sein Status war er nur einer Person schuldig. Und das war die oberste Gelehrte des Senates. Maila Rekhar. Nicht einmal dem Kommandanten des Militärs Victor Tescar war bekannt, dass es ihn überhaupt gab. Magnus Delcar. Er verfolgte die Gestalt in einiger Entfernung. Mit Sicherheit wusste es, dass es verfolgt wurde. Doch es war kein Grund für Magnus, sich zu verstecken. Er ging aufrecht und ohne Furcht durch die Einöde. Sein Antlitz wurde verborgen. Seine Magie schirmte ihn vor allen Augen ab, denn sein Umhang reflektierte die Umgebung. So sah niemand einen großgewachsenen Mann mit schwerem Umhang und einem Silbertuch vor dem Gesicht. Nur Steine, Geröll und Sand. Nicht einmal der Wind konnte die Illusion von ihm reißen. Egal wie heftig er an ihm zerrte. Beide hielten beinahe gleichzeitig inne.
Magnus blickte sich um. Lange. Er fühlte es, noch sah er nichts. Er beugte ein Knie gen Boden und legte eine Hand auf die ausgedörrte Erde. Er sah, wie winzig kleine Steinchen zu hüpfen begannen und Sand in seine Richtung rann, als wölle es vor dem fliehen, was da auf sie zu kam. Und es musste groß sein, wenn die Erde bebte, noch bevor es zu sehen war.
Er hob den Kopf und blickte in die Ferne. Auch das Geschöpf vor ihm war auf die Knie gegangen und hockte da. Es schien zu warten. Magnus hörte sie, bevor eine riesige Staubwolke in Sicht kam. Es war ein Stampfen, ein alles zermalmendes, todbringendes Unglück. Eine Horde Gohrs. Einst waren es Bewohner dieser Welt, Uhltra, gewesen. Doch nun, da sie dem Xil ausgesetzt waren, hatten sie sich zu Wesen deformiert, deren Ursprung nicht mehr zu erkennen war. Ihre Häute hingen wie verwesendes Aas an ihnen herab oder riesige klaffende Wunden durchsetzten ihre Körper, die scheinbar keine Schmerzen mehr spürten. Wer einer Horde Gohrs begegnete, war dem Tode. Egal ob sie einen bei lebendigem Leib fraßen oder einfach nur in Stücke rissen. Es war besser als von ihnen verschleppt und einer von ihnen zu werden. Denn dann war man nur noch ein Instrument. Darauf aus, alles zu töten, was sich ihm in den Weg stellte. Zu morden und fortwährend der Xilseuche zu erliegen. Magnus verharrte in seiner Position. Für die Welt um ihn war er ein Fels. Ein Stein, ohne Augen und Ohren. Die Staubwolke entließ wie befürchtet grausig anmutende Geschöpfe. Hinkend, rennend, auf
der Jagd. Er konnte ihren Gestank wahrnehmen. Sie stoben auseinander direkt auf die Gestalt vor ihm zu. Jaulend und brüllend kamen sie zum Stillstand. Magnus sah, wie sie begannen an dem Geschöpf zu riechen. Erstaunlich. Er hatte gedacht sie würden ihn schneller töten. In dem Augenblick schnellte eines dieser widerlichen Kreaturen aus der Masse heraus, packte es und hob die Gestalt in die Luft. Die Arme des Gohrs waren unnatürlich lang und schienen nicht mehr zu sein als Knochen, die an verwesendem Fleisch hingen. Sein Körper war wohl einst der eines Menschen gewesen, doch nun war er dieses Wortes nicht mehr wert. Es stieß ein tiefes Brüllen aus, bevor es mit der anderen Pranke die Gestalt packte und es in zwei Hälften riss. Magnus senkte den Blick, als die Horde begann den Leichnam zu fressen.
Er sah wie sich die Steinchen zu seinen Füßen bewegten. Sie hüpften auf und ab. Ein schwerer dunkler Schatten legte sich plötzlich auf ihn und der Gestank von Verwesung setzte sich in seine Nase. Vor ihm stand der Gohr, der den Eindringling getötet hatte. Er war eindeutig einst ein Mensch gewesen. Doch jetzt sah Magnus nur noch einige Fetzen schwärzlicher Haut an rohem Fleisch hängen. Knochen lugten hervor und hielten die groteske Kreatur kaum mehr zusammen. Er blickte weiter auf, sah Stofffetzen alter Kleidung. Sein Brustkorb war aufgebläht, beinahe als versuche etwas daraus hervorzubrechen. Er konnte sehen, dass nicht eine seiner Rippen mehr intakt waren. Er musste fürchterliche Qualen durchlitten haben. Sein Kopf war ebenso verquollen und übersäht mit Haut und Fleischfetzen. Seine Augen waren aus den Höhlen getreten und suchten die Umgebung ab. Die schwarzen tiefen Löcher, wo einst eine Nase gesessen hatte, sogen schwer die Luft ein. Magnus war klar. Dieser Gohr konnte ihn riechen. Doch was ein Gohr nicht sehen konnte, würde er auch nicht bekämpfen. Die überdimensionalen Arme rauschten auf seinen Rücken. Für die Kreatur vor ihm nur ein Stein. Doch Magnus musste aufpassen, dass er nicht das Gleichgewicht verlor und somit seine Tarnung. Er konzentrierte sich auf seine Atmung und seine innere Balance. Seine Magie war stark und täuschte den Gohr. Er suchte um ihn herum, schnüffelte und jaulte immer wieder. Erst als die Horde aufbrach und sie langsam in der Staubwolke verschluckt wurde, ließ dieses Monster von ihm ab und rannte zurück in Richtung Grimhorn. Eine gefühlte Ewigkeit später, als die Sonne bereits begann unter zu gehen, gab Magnus seine Haltung auf und schritt langsam auf die Überreste des Opfers zu. Der Wind peitschte über den Sand und kündigte eine kalte eisige Nacht an.
Magnus hockte sich neben die Leichenreste und blickte in die kalten grauen Augen eines Soldaten. Viel hatten sie nicht übrig gelassen von ihm. Vor Wochen hatten die Gohrs ihn im Kampf verschleppt und in eine ihrer Minen gebracht, in der er zu einem von ihnen geworden war. Ein Brandmal an seinem Hals hatte ihn als den verraten, der er einst gewesen war und so hatte der Trupp, der seine Horde gestellt hatte, den Befehl erhalten, ihn in eine geheime Einrichtung bringen zu lassen. Es waren nicht die ersten Tests, die an diesen Monstern ausgeübt wurden, aber der erste, der Wirkung gezeigt hatte. Seinen Körper hatten sie heilen können. Magnus blickte auf das Gesicht, das von frischen Wunden übersäht war. Sein Körper hatte sich erholt. Er war ein gesunder Mann gewesen, als man ihn frei gelassen hatte. Doch sein Geist, seine Seele, war noch immer zerfressen von all dem Xil, dem er ausgesetzt gewesen war. Die Gelehrten vermuteten, dass die Seele, der Geist, einmal so gebrochen, nie wieder zu seinem Ursprung zurückgeführt werden konnte. Seine Aufgabe war gewesen, herauszufinden, wie die Gohrs auf ihn reagierten. Der Bericht an Maila Rekahr würde eindeutig und knapp ausfallen. Magnus blickte sich um. Hier gab es nichts, weit und breit. Außer Tod und Verderben.
Noch aber gaben sie sich der Seuche nicht geschlagen. Noch gab es die Titanen. Noch gab es Hoffnung.